Privates

Straßenbahnfahren – Erlebnis außerhalb der Komfortzone

Es war höchste Zeit: Endlich darf ich mich in die elitäre Runde jener einreihen, die jeden Tag den vollen Zauber der öffentlichen Verkehrsmittel kosten – kaum zu fassen, dass ich mir diesen Hochgenuss bisher entgehen ließ.

Etwa, als ich mit zwei Freunden zum Essen verabredet war und ausnahmsweise die Bahn statt meiner Füße bemühte – ein idealer Moment, um die legendäre Kombination aus ökologischer Vorbildfunktion und chronischer Unpünktlichkeit am eigenen Leib zu erfahren.

16:20 Uhr – zur besten Pendler-Primetime. Da kann es bei einem Zehn-Minuten-Takt schon einmal… nun ja… intimer werden. Erst fiel die erste Bahn komplett aus, dann kam eine, die so vollgestopft war, dass selbst Sardinen Platzangst bekommen hätten. Nach dreißig Minuten erschien endlich eine, die mich – welch Ehre – tatsächlich mitnehmen wollte.

Für die Strecke zu Fuß hätte ich ungefähr vierzig Minuten eingeplant. Aber warum auch den direkten Weg wählen, wenn man stattdessen Nahverkehrs-Comedy gratis genießen kann?

Kurz nach mir stieg hinter mir ein Einkaufswagen mit ein, beladen mit allem, was der urbane Straßenrand so hergibt – und natürlich sein Eigentümer, der den Geruchshorizont der Straßenbahn auf ein neues Niveau hob. Dazu gab’s ein leises, permanent genervtes Murmeln, das den Charme des Abends perfekt abrundete.

Zur Linken nahm ich ein wütendes Sprachfeuerwerk in improvisiertem Deutsch wahr. Ob alkoholische Einlage oder spontanes Performance-Art-Projekt – wer braucht schon Theaterkarten, wenn man Straßenbahn fährt? Weiterhin zur Rechten das unablässige Brummen des mobilen Sammelwagens. Ganz wie in einer schlecht ausbalancierten Surroundanlage.

Direkt vor meiner Nase klebte eine Anzeige: Keine Sendezeit für Müll‘, gezeichnet von irgendwem namens Laura Wontorra. Ich wäre fast in Versuchung geraten, nachzusehen, wer sich hinter diesem Orakel verbirgt – hätte der Fahrer nicht gerade ein Brems-Beschleunigungs-Intervalltraining absolviert, das mir sämtliche Hände zum Festklammern abverlangte.

Darunter prangten die Buchstaben AWB – in Köln bekanntlich die Abfallwirtschaftsbetriebe.
Was will mir diese Botschaft also sagen?
Dass man im Fernsehen keinen Müll zeigen möchte?
Warum?
Oder soll ich mich etwa einfach nur daran erinnern, meinen eigenen Müll nicht auf die Straße zu werfen?
Wenn ja, warum schreibt man das dann nicht einfach hin?

Wer denkt sich so etwas aus? Vielleicht die immer noch unermüdlich pöbelnde Schreihals-Dame zu meiner Linken? Oder der Herr mit seiner mobilen Wohnung zu meiner Rechten?
Schade, das werde ich wohl nie erfahren.

Jetzt hieß es: durch das menschliche Tetris quetschen und den Ausgang finden.
Zur Auswahl: rechts die stinkende Tür, links der verbale Dauerbeschuss.
Ich entschied mich für links – man gönnt sich ja sonst nichts.

Für den Heimweg wählte ich dann die einzige wirklich verlässliche Verbindung: meine eigenen Beine. Vierzig Minuten später war ich zu Hause – ohne Taktung, ohne Durchsage, ohne Nahverkehrs-Varieté.

PS:
Ein Hauch ChatGPT hat hier beim Feinschliff geholfen – als Starthilfe für meine eingerosteten Sarkasmus-Reflexe. Keine Sorge: Mein eigener Biss muss sich jetzt nur wieder warmlaufen.

Heiko

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Heiko
Tags: derheikoKvb

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